Kelchblatt (Software)
Kelchblatt (чашелистник) bezeichnet eine Dechiffrier-Software des russischen Auslandsnachrichtendienstes SVR. Agenten des SVR nutzen die Software, um über Kurzwellenfunk gesendete Nachrichten zu empfangen und zu dechiffrieren. Öffentlich bekannt wurde die Existenz dieser Software und des Programms „Parabola“ durch die Enttarnung zweier SVR-Agenten in Deutschland.
Aufdeckung
Die beiden SVR-Agenten Sascha (Deckname „Pit“) und Olja („Tina“) wurden 2012 vom Bundeskriminalamt verhaftet und mussten sich 2013 vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit verantworten. Dabei wurden beide zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, wobei die Frau im November 2014 und der Mann im Juni 2015 wieder aus der Haft entlassen und nach Russland abgeschoben wurden.[1][2] Sie waren bereits vor der deutschen Wiedervereinigung vom SVR-Vorgänger KGB in die Bundesrepublik geschleust worden, wo sie sich unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun Anschlag eine Legende aufbauten und ein augenscheinlich normales Familienleben führten. Sie nutzen über Jahre das Duplex-Kommunikationsverfahren des russischen Geheimdienstes, zu dem auch Kelchblatt gehört. Das Agentenpaar wurde in einem Kurs in Sankt Petersburg im Umgang mit der Kommunikationstechnik geschult.[3]
Der aus Russland gesendete Anteil von Kelchblatt ist in DX- bzw. Zahlensenderkreisen unter dem Namen XPA bzw. XPA2 bekannt. Dabei handelt es sich um ein Polytonverfahren mit 13 unterschiedlichen Tonhöhen, das, über die NF von einem beliebiegen Kurzwellenempfänger abgegriffen und über die Soundkarte eines Computers, in Zahlenreihen umgewandelt wird.
Internetkommunikation ist nach wie vor auffällig. Parallel zu Kelchblatt bzw. Parabola kommunizierten die beiden Agenten auch über die Videoplattform YouTube: Sie verfassten dort Kommentare mit versteckten Botschaften.[4] Dabei agierte Heidrun Anschlag unter dem Nutzernamen "Alpenkuh1". Ihr Account wurde kurz nach der Urteilsverkündung in Stuttgart von YouTube entfernt.
Nach Medienberichten war es der NSA gelungen, Teile der Kommunikation zwischen dem Marburger Agentenpaar und der Moskauer SVR-Zentrale zu knacken. Allerdings ging daraus nicht hervor, ob es sich um die Funk- oder um die Internetkommunikation handelte.
Funktion
Kelchblatt ist ein Teil des Duplex-Kommunikationsverfahrens, welches der SVR benutzt, um Kontakt zu seinen Mitarbeitern im Ausland zu halten. Wie sich aufgrund der beschlagnahmten Technik ermitteln ließ, funktioniert die Kommunikationstechnik wie folgt:
- Über eine Kurzwellensendeanlage (wahrscheinlich eine Rundfunksendeanlage) werden als Tonfolgen chiffrierte Textnachrichten für Agenten in Europa ausgestrahlt (Zahlensender). Dabei werden Tonfolgen auf wechselnden Frequenzen zwischen 3 und 30 MHz im Modulationsverfahren USB übertragen.
- Kelchblatt vergleicht drei empfangene Tonfolgen, um Übertragungsfehler zu korrigieren. In einem weiteren Schritt übersetzt Kelchblatt die Tonfolgen in Zahlenkolonnen und dechiffriert diese zu Klartext.
- Im Klartext müssen mögliche Übertragungsfehler noch manuell korrigiert werden.
- Die Antwort wird über Satellit gesendet. Mit dem Programm „Parabola“ werden die Nachrichten der Agenten verschlüsselt. Diese setzen ihre Nachrichten dann mittels eines Senders und einer Parabolantenne direkt an einen SVR-Satelliten ab. Dazu ist eine Sichtverbindung zum Satelliten im Zeitfenster des Überflugs notwendig. Die Technik ist vergleichbar mit einem Inmarsat-Satellitentelefon. Durch die Richtfunkverbindung ist eine Entdeckung des Signals durch bodengestützte SIGINT-Einrichtungen sehr schwierig.
- Die aufgenommenen Nachrichten werden via Satellit an die SVR-Zentrale übermittelt.
Einzelnachweise
- ↑ Trotz Haftstrafe in Deutschland: Russische Top-Agentin ausgewiesen, Südwestrundfunk, vom 22. November 2014, abgerufen am 22. November 2014
- ↑ Russischer Spion aus Hessen in die Heimat abgeschoben
- ↑ Der Spiegel, 27/2013 Im Land des Gegners. S. 28-30
- ↑ http://www.welt.de/politik/deutschland/article110072578/Agententhriller-von-historischer-Dimension.html
Quellen
- Deutsche Wikipedia
- ENIGMA2000-Newsletter (diverse Ausgaben)