Sandbox:Magdeburg Annie

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Letzte Bearbeitung am 01. 07. 2023


Das Gesicht der allseits bekannten Stimme[1]

Magdeburg Annie“ ist der Spitzname einer Zahlensender-Sprecherin, die von vielen Diensten verwendet wurde und und bei einem heute noch genutzt wird (stand Juli 2018). Ursprünglich war sie bei G08 eingesetzt, wurde dann aber auch bei G06, G07 verwendet. Ferner diente sie als „Ersatz“ bei G02 und wurde ebenfalls bei G21 genutzt. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll sie auch bei G09 eingesetzt worden sein, was bislang aber unbestätigt ist (Stand Juli 2018).

„Magdeburg Annie“ ist nicht der einzige Spitzname für die Sprechstimme eines Zahlensenders. Für E05 wurde der Begriff „Cynthia“ geprägt, die Stimme von E10 war auch als „Tel Aviv Tina“ bekannt, „Bulgarian Betty“ wurde S10 zugeschrieben und E25 erhielt den Namen „Cleopatra“. Sicherlich gab es bei den Zahlensenderbeobachtern der Jahre vor 1990 noch weitere Spitznamen, doch die Informationen darüber sind wohl inzwischen verloren gegangen.

Herkunft

Der Name „Magdeburg Annie“ geht auf britische Soldaten der Funkaufklärung in Großbritannien zurück. Dort wurde der Begriff etwa um 1964 geprägt. Er resultiert aus der irrtümlichen Annahme, die Zahlensendungen von G08 kämen von einem Sender namens „Radio Magdeburg“[2]. Angeblich soll ein westdeutscher Soldat dies seinen britischen Kameraden gegenüber geäußert haben. Aber offenbar war es diesen Aufklärungstruppen nicht möglich gewesen, Standorte von Sendern zu peilen. Sonst hätte man zu der Zeit bereits Zeesen als Quelle der Aussendungen ermittelt.

Der Begriff kursierte in der Folge besonders stark bei britischen Funkaufklärungssoldaten, die ihren Dienst in der Bundesrepublik versahen. Über die britischen Truppen hinaus fand der Name dann seinen Weg zu fast allen westlichen Funkaufklärungstruppen, geriet jedoch für einige Jahre wieder in Vergessenheit. Erst in den 1990er Jahren, als sich Zahlensenderbeobachter besser organisierten und schlussendlich mit der Gründung von ENIGMA wurde der Begriff wieder geläufig.

Sprachbild

Die Stimme hat ein weiches und angenehmes, für Funkübertragungen sehr gut geeignetes Klangbild. Der Ton kann als warm bezeichnet werden, wobei die Zahlen leicht melodisch gesprochen werden. Dabei weist „Annie“ bestimmte, charakteristische Aussprachebesonderheiten auf:

  • Die Ziffer 2 wird "Zwo" gesprochen.
  • Die Ziffer 5 wird "Fünnef" gesprochen.
  • Die Ziffer 9 wird "Neuen" gesprochen.

Dies dient der besseren Verständlichkeit auch bei schwierigen bzw. gestörten Funkverbindungen.

Verwendung

Live

Mit Beginn der Sendungen von G08 in den 1950er Jahren waren zunächst wohl, so der aktuelle Stand der Recherchen vom Juli 2018, neben „Annie“ noch andere Sprecherinnen im Einsatz gewesen. Seinerzeit wurde noch aus Berlin gesendet, da sich die später verwendete Sendestelle in Zeesen bei Königs Wusterhausen noch im Bau befand. Dort wurde der Betrieb erst 1961 aufgenommen. Von Zeesen aus wurde jedoch ausschließlich gesendet, die Sendungen selbst wurden in Wernsdorf, südöstlich von Berlin-Köpenick, im sogenannten „Objekt Kesselberg“ aufbereitet. Dort befanden sich in den Kellerräumen zwei Tonstudios, in denen die Sendungen aufgezeichnet wurden.

Trotz guter Schalldämmung konnte es vorkommen, dass der Gefechtslärm vom nahen Truppenübungsplatz der NVA die Aufnahmen störte. Daher plante man die Entwicklung einer automatischen „Sprechmaschine“, auf der die einzelnen Zahlen und die Signalwörter („Achtung“, „Trennung“ und „Ende“) aufgezeichnet wurden, um sie dann per Lochstreifensteuerung abzurufen und für die nächste Sendung aufzuzeichnen. Dazu wurde die heute noch bekannte Sprecherin gebeten, die Zahlen und Signalwörter einzusprechen. Im internen Sprachgebrauch hieß die Maschine „Telegrafie-NF-analog-Umsetzer“, Projekt 2028.[3] Inoffiziell wurde der Umsetzer „Schnatterinchen“ genannt.

Schnatterinchen

Pittiplatsch und Schnatterinchen in einem Kinderfilm

Der Kosename Schnatterinchen ist der wöchentlichen Kindersendung „Meister Nadelöhr erzählt Märchen“ des DDR-Fernsehens aus den 1950er Jahren entnommen. Darin erlebte die von Heinz Schröder und Friedgard Kurze geschaffene Puppenfigur Schnatterinchen, eine Ente, mit anderen Tieren und Fabelwesen kindgerecht erzählte Abenteuer. Später tauchte die Figur auch beim Sandmännchen des DDR-Fernsehens auf.

Ideen, Planungen und Entwürfe zu „Schnatterinchen“ stammten von einem Stasi-General, der im Objekt Kesselberg seinen Dienst versah[4]. Ausgeführt wurde die Entwicklung jedoch von der Schule der Verwaltung Aufklärung, die dann den Produktionsauftrag auch schlussendlich erteilte.[3]

Vorteil einer automatisierten Sendung der Zahlenbotschaften war, dass keine offenen Mikrofone mehr eingesetzt werden mussten. Dadurch gab es keine Hintergrundgeräusche bei den Sendungen, die sich störend hätten auswirken können. Zudem gab es auch keine Atemgeräusche mehr, die versehentlich mit übertragen wurden.

Das Gerät war in einem 19 Zoll großen Metallgehäuse untergebracht. Die Steuerelektronik war in der Lage, klassische 5-Bit-Lochstreifen zu lesen und damit die Zahlen und Signalwörter wiederzugeben. Der dazu notwendige Lochstreifenleser befand sich an der Frontseite des Geräts. Die Sprachaufnahmen waren auf 13 Walzen, die mit ferromagnetischem Tonband beklebt waren, analog „abgespeichert“. Die Anordnung dieser 13 Walzen war gegeneinander versetzt um Platz zu sparen, so dass es aussah, als wären zwei Walzen-Reihen in dem Bauteil untergebracht. Tatsächlich handelte es sich um eine V-förmige Anordnung um eine gemeinsame horizontale Drehachse, so dass eine „Reihe“ sieben, die andere sechs Walzen enthielt. Das Tonband hatte jeweils eine Länge von 12 bis 14 cm und wurde von einem Magnetkopf abgetastet. Vorteil dieser Anordnung war ihre vergleichsweise kompakte Bauform und die Tonbänder waren nach dem Abspielen sofort wieder in der Startposition, so dass sie unmittelbar wieder abgespielt weren konnten.

„Schnatterinchen“ oder „Projekt 2028“ wurde in der Version 2028.1 im Spätsommer 1965 das erste Mal in Betrieb genommen. Von da an war nur noch eine einzige Stimme bei G08 zu hören – das bisher dafür zuständige Korps der Sprecherinnen war damit quasi überflüssig geworden.

Etwa um 1970 wurde anscheinend die weiterentwickelte Version 2028.2 in Betrieb genommen. Zahlensenderbeobachter berichten von einer seither etwas tieferen Stimmlage bei gleichbleibender Aussprache. Mit der neuen Geräteversion wurden die Tonspuren offenbar nochmals neu eingesprochen oder man griff auf Aufnahmen von 1964 zurück, die in der ersten Version nicht zum Einsatz kamen. Eine dritte Geräteversion wurde um die Mitte der 1970er eingesetzt – Kosten für die Beschaffung dabei pro Stück 15.000,- Ostmark.[5]

Zu dieser Zeit liefen aber offenbar schon die Arbeiten an einem digitalen Nachfolger für „Schnatterinchen“, Projekt Nr. 32620, der dann im Frühjahr 1984 eingeführt wurde. [3][6]

Sprach-Morse-Generator

Der Sprach-Morse-Generator aus einer der letzten Produktionsreihen um 1989.

Der Sprach-Morse-Generator löste die analoge Sprachaufzeichnung ab. Herz dieses Geräts war ein Prozessor Typ U 880, der vom VEB Mikroelektronik „Karl Marx“ in Erfurt entwickelt und produziert wurde. Dabei handelt es sich um einen Nachbau des Z80 von ZILOG, der sich um winzige Nuancen von seinem Vorbild unterscheidet. Der Prozessor arbeitet auf einer 8-Bit-Architektur bei einer Taktfrquenz von 8 MHz.

Die Sprachinformationen lagern auf austauschbaren Kassetten, die mit bis zu 12 EPROMs für die digitalisierten Sprachaufzeichnungen bestückt sind. Der Vorteil hierbei ist, dass sich ein Sprach-Morse-Generator in weniger als einer Minute auf eine andere Sprache umrüsten lässt. Hinzu kommt, dass im Morsespeicher des Geräts sowohl „Tönende Telegrafie“ (A2A / MCW) als auch „Tonlose Telegrafie“ (A1A / CW) über entsprechende Sendersteuerungen realisierbar sind.

Intern wurde der Sparch-Morse-Generator auch scherzhaft „Eiserne Frau“ tituliert.[7] Es könnte darüber hinaus sein, dass der Sprach-Morse-Generator auch mit dem Spitznamen „BRIGITA“ belegt worden ist. Da das „Projekt Nr. 32620“ von der DDR in weitere Länder des Warschauer Paktes exportiert wurde könnte das in einem tschechischen Dokument beschriebene „Zařízení BRIGITA“ (Gerät BRIGITA) der in der DDR bis 1990 produzierte Sprach-Morse-Generator sein.[8]


Dokumentation des Sprachmorsegenerators - Pseudonachricht, erstellt als Klangbeispiel (Quelle: Dirk Rijmenants)

Bekannt ist außerdem, dass 27 Geräte über die Internationale Zusammenarbeit Sowjetunion (IZSU) bestellt und bis Ende 1990 nach Moskau geliefert wurden.[7] Zudem ist es höchst wahrscheinlich, dass zahlreiche Geräte neben dem Export auch beim zweiten Zahlensender der DDR, G03, mit anderer Stimme zum Einsatz kamen. Unter welchen Umständen die zweite Sprecherin dabei ins Spiel kam ist bislang ungeklärt (Stand Juli 2018).

PC-Anwendung

Inzwischen scheint „Annie“ in ein weiteres digitales Stadium übergesiedelt zu sein: vom Sprach-Morse-Generator auf Windows. Offenbar ist es dem russischen Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU), der unter anderem den Zahlensender G06 betreibt, gelungen, „Magdeburg Annie“ die Zahlen von einem Windows-Computer aus vorlesen zu lassen. Bei manchen - fehlerhaften - Sendungen von G06 war ein Fehlersound von Windows XP zu hören und am Ende von einigen Sendungen von G06 wurde der typische Shutdown-Sound von Windows XP abgespielt, obwohl die Sendeleitung noch offen war.

Einsatz

G08

Bei diesem Zahlensender war „Magdeburg Annie“ seit den ersten Sendungen zu hören. In den Anfangsjahren sicherlich im Wechsel mit anderen Sprecherinnen, später dann in automatisierter Form bis zur Abschaltung am 31.05.1990.

G07

„Magdeburg Annie“ kam auch beim deutschsprachigen Zahlensender des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KGB) bzw. dessen Nachfolger Sluschba wneschnei raswedki (deutsch: Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation - SVR) als G07 zum Einsatz. Allerdings war die Tonhöhe nach oben verändert („gepitcht“) und wirkte zittrig. Da der Sprach-Morse-Generator ein Pitching zuließ ist davon auszugehen, dass für G07 noch dieses DDR-Gerät bis zur Abschaltung des Dienstes im Januar 2001 verwendet wurde.

G21

Bei G21 wurde die Sprechstimme vom Anfang der 1970er Jahre verwendet, was der Geräteversion 2028.2 des analogen Sprachsystems „Schnatterinchen“ entspricht.

G02

Der polnische Nachrichtendienst Służba Bezpieczeństwa (SB), Betreiber des Zahlensenders G02, verwendete „Annie“ als Ersatzstimme für seine reguläre „Sprecherin“. Dies legt nahe, dass bereits „Schnatterinchen“ vom polnischen Partnerdienst genutzt wurde, womöglich später auch der Sprach-Morse-Generator.

G06

„Magdeburg Annie“ ist aktuell immer noch (Stand Juli 2018) auf Kurzwelle mit ihren fünfstelligen Zahlengruppen zu hören. Als letzter verbliebener deutschsprachiger Zahlensender verwendet G06, betrieben vom russischen Militärgeheimdienst Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU), die berühmte Stimme für seine Sendungen, allerdings ohne die Signalwörter. Dabei wird scheinbar ein auf Windows XP laufendes digital gesampeltes Dateienbündel verwendet, denn hin und wieder sind typische Betriebssystem-Klänge von XP vor, während und nach einer Sendung von G06 zu hören.

Sollte G06 verstummen geht auch die Stimme von „Magdeburg Annie“ off air und es endet ein sehr interessantes Kapitel der Utility-Funkgeschichte.

Medien

Der britische Musiker Peter Daniel veröffentlichte 1998 den Song „Magdeburg Annie“ auf seinem Album „Darwin’s Waiting Room“. Der Song kann nach wie vor als Download bei iTunes, Deezer und Amazon erworben werden. Dazu gibt es auch noch das folgende YouTube-Video, das jedoch nicht vom Künstler selbst autorisiert wurde:

<html5media>https://www.youtube.com/watch?v=ITDWXlkEakM</html5media>

Der Song hat allerdings nichts mit der Zahlensenderstimme zu tun. Es handelt sich offenbar lediglich um einen aus der Inspiration durch den Spitznamen heraus kreierten Song.

Einzelnachweise und weitere Quellen

  1. Agentenfunk und die verwendeten Verschlüsselungsverfahren Artikel von Detlev Vreisleben im Radio Kurier des ADDX, Ausgabe 12/2011, Seite 26 ff
  2. ENIGMA2000-Newsletter #58, Seite 101 ff.
  3. 3,0 3,1 3,2 Detaillierte Beschreibung von Projekt 2028 bei cryptomuseum.com, abgerufen am 28.06.2018
  4. [ http://www.cryptomuseum.com/spy/owvl/schnatterinchen/files/sprecherin.pdf Cryptomuseum: Brief der "Schnatterinchen-Stimme" (siehe Passfoto!)]
  5. Jahresabschlussanalyse Abteilung 33 des Operativ-Technisches Sektors (OTS) im MfS, 1976 (PDF), abgerufen am 28.06.2018
  6. Komplette Beschreibung eines Geräts 32620 / 32621 aus den Beständen der BStU (PDF, 18,5 Mbyte), abgerufen am 28.06.2018
  7. 7,0 7,1 Der Sprach-Morse-Generator (Projekt 32620) auf der Homepage von cryptomuseum.com, abgerufen am 26.06.2018
  8. [ http://priyom.org/blog/priyom-releases-a-top-secret-document-about-numbers Bei PRIYOM veröffentlichtes ehemals streng geheimes Dokument des tschechoslowakischen Geheimdienstes Státní bezpečnost (StB) über BRIGITA], abgerufen am 28.06.2018